Ein Problem lässt sich nicht mit derselben Logik lösen, DURCH DIE es entstanden ist
Das aktuelle Weltgeschehen stellt uns vor grosse Herausforderungen.
Wir leben in einer Zeit krisenhafter Entwicklungen, die einiges von uns abverlangen:
Wie begegnen wir der anhaltenden Umweltzerstörung?
Was setzen wir der Tatsache entgegen, dass die traditionellen Strukturen und Ordnungen des Zusammenlebens immer brüchiger werden?
Wie begegnen wir der Zunahme von Depression, Hoffnungslosigkeit und Orientierungslosigkeit?
Wie können wir aus den anhaltenden Erschütterungen lernen, die durch grausame Kriege, die zunehmende Polarisierung und die politischen Umwälzungen verursacht werden?
Obgleich alle diese Fragen auf unsere menschliche Verantwortung verweisen, suchen wir die Lösung meist ausserhalb von uns selbst, zum Beispiel in technischen Innovationen. Fortschritt ist für uns in erster Linie technischer Fortschritt. Dabei übersehen wir, dass es letztlich von unserem Entwicklungsstand als Menschen abhängt, wie und wofür eine technische Errungenschaft eingesetzt wird. Überdies gilt menschliche Entwicklung heute als Privatangelegenheit – und damit als für das Ganze unwesentlich.
Tatsächlich aber ist es das menschliche Tun und Denken, durch das jene Wirklichkeit entsteht, die uns scheinbar wie von aussen entgegenkommt. Die Wirklichkeit, in der wir leben, entsteht in einem ständigen Prozess durch jeden einzelnen von uns. Das heisst auch: Wir selbst – und nur wir selbst – können sie verändern und bewusst gestalten.
Jeder Wandel beginnt im Innen
Wandel beginnt immer innen: Solange wir uns selbst nicht verändern, ändert sich auch nichts in der Welt. All die Regeln, Gesetze und Vereinbarungen, mit denen heute versucht wird, Krisen und Konflikte zu lösen, führen nur dann zu einer nachhaltigen Veränderung, wenn die Menschen deren Sinn auch verstehen und diese aus eigenem Antrieb zu leben bereit sind.
Ansonsten müssen sie ausschliesslich von aussen auferlegt und kontrolliert werden und führen in der Folge zu immer weiteren Gesetzen, Normen, Vorschriften und Regeln, die die Wirklichkeit in immer kleinteiligere Bereiche zerteilen.
Wollen wir dagegen wirkliche Entwicklung, wirklichen Frieden erreichen, sind wir alle an einer empfindlichen Stelle gefordert: Wir müssen aufhören, uns als Opfer der Umstände oder der Anderen zu sehen und die volle Verantwortung für unser Denken und Handeln übernehmen.
An die Stelle scheinbar unveränderlicher Sachzwänge muss die verstehende Gestaltungskraft des Einzelnen treten.
Nur so wird es gelingen, eine Wirklichkeit zu schaffen, die der menschlichen Entfaltung zuträglich ist – eine Gegenwart mit Zukunft.
Nur Lebendiges kann Lebendiges erfassen
Was es dazu braucht, ist ein erweiterter Wirklichkeitsbegriff. Unsere Wissenschaften dürfen Wirklichkeit nicht mehr als blosse Ansammlung isolierter Spezialgebiete betrachten. Sie müssen sie als ein lebendiges Ganzes erkennen, das nicht nur durch jede erdenkliche Form von Apparaturen gemessen werden kann, sondern von jedem Menschen wahr-genommen, erfahren und verstanden werden kann – und muss. Denn nur Lebendiges kann Lebendiges erfassen, so wie jedes Mass nur das messen kann, was in ihm als Möglichkeit enthalten ist: Ein Litermass misst nur Flüssiges, eine Waage wiegt nur Gewicht…
Kräfte wie Angst, Wut, Liebe oder Freude lassen sich mittels eines äusseren Masses oder Instrumentariums niemals durchdringen. Wenn wir jedoch lernen, diese lebendigen Antriebe bewusst in uns wahrzunehmen und zu beobachten, können wir sie als Triebkräfte der menschlichen Entwicklungsgeschichte verstehen, gestalten und transformieren.
Das setzt allerdings voraus, dass wir das Lebendige nicht als etwas rein Subjektives oder Individuelles begreifen, sondern erkennen, dass es Gesetzmässigkeiten folgt, die genauso klar sind wie die Naturgesetze der Physik.

Was wir kultivieren
Das Impulszentrum Holdenweid hat sich der Erforschung, Erprobung und Aus-Übung dieser verstehenden Gestaltungskraft verschrieben. Immer orientieren wir uns dabei an den grundlegenden Gesetzmässigkeiten des Lebendigen.
Wir versuchen, damit alle Lebensbereiche zu durchdringen, und so neue Formen des Zusammenlebens, der künstlerischen Arbeit, der Forschung und des Zusammenwirkens verschiedener Tätigkeitsbereiche zu entwickeln.
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Was für Gesetzmässigkeiten sind das? Eine davon lautet zum Beispiel: Nur was genährt wird, wächst und wird stärker. Das gilt für das Wachstum einer Pflanze genauso wie für die Entwicklung einer menschlichen Eigenschaft oder Fähigkeit: Ich kann meine Ängste nähren, oder aber mein Vertrauen. Ich kann meiner Bequemlichkeit nachgeben oder meine Selbstüberwindung stärken. Wie auch immer ich mich entscheide, mein Denken und Tun beeinflusst die Wirklichkeit. Basis dafür ist Ehrlichkeit und die Bereitschaft, an sich zu arbeiten. Somit bin ich als Individuum letztlich immer auch mitverantwortlich für das Ganze.
Sind die oben angeführten Fragen übertrieben pessimistisch?
Stehen wir wirklich vor gravierenden Herausforderungen?
Manche Politiker*Innen und Wirtschaftskenner*Innen vertreten demgegenüber die Ansicht, dass oben genannte Herausforderungen nicht die Wirklichkeit abbilden würden, sondern bloss ein Abbild der medialen Stimmung seien. Diese verleihe den negativen Schlagzeilen mehr Gewicht, weil Schreckensmeldungen mehr Klicks erhielten als seriöse Recherchen. Diese Haltung bezieht jedoch genau den von ihr beschriebenen Mechanismus nicht als Teil der Wirklichkeit und damit einer effektiven Entwicklung mit ein. Dass das so ist, dass sich die mediale Landschaft zunehmend wirtschaftlichen Zwängen beugt, anstatt ihre unabhängige, informierende Verantwortung zu übernehmen, ist symptomatisch.
Unser aktuelles System basiert auf dem Austausch von gravitativen Kräften: Die kapitalistische Marktwirtschaft belohnt denjenigen, der mehr Umsatz macht. Unwichtig, was dabei zerstört – und welche ausbeuterischen Techniken dabei angewendet werden. Um diesen Umsatz zu generieren wird unsere Bequemlichkeit, unsere Gier oder unser Egoismus angesprochen. Diese Triebkräfte sind auf beiden Seiten, also auf der Seite der Produzenten als auch der Konsumenten gravitativer Natur und deswegen immer leichter zu bewegen als die erhebenden Kräfte. Die Dinge fallen von alleine zu Boden. Und dort entsteht auch ganz von alleine Unordnung. Etwas aufzuheben, zu ordnen oder zu verstehen erfordert Energie und geschieht niemals von alleine.
Das, was gesund für uns ist, was uns guttut, wonach wir uns eigentlich sehnen, ist mit Bequemlichkeit und Konsum alleine niemals zu erreichen. Aber wir als Konsument*Innen lernen nirgendwo, diese gigantischen Verführungen zu erkennen und mit ihnen umzugehen. Denn davon profitiert niemand ausser wir selbst. Scheler unterschied einst in «Herrschaftswissen» und «Heilungswissen». Mit dem Herrschaftswissen lässt sich Geld verdienen, damit kann man Profit machen. Mit dem Heilungswissen kann man nicht in erster Linie Geld machen, sondern dieses dient wie das Wort besagt unserer «Heilung».
Wir sind in unserer Bestechlichkeit meist leichte Beute für den Absatz von Produkten, die eigentlich niemandem guttun, und die oft auch niemand wirklich braucht, und die meist nicht viel mehr als zukünftigen Abfall verursachen.
Dieser Austausch von gravitativen Kräften hat langfristig verheerende Auswirkungen auf die individuelle – und auf die gesellschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Entwicklung.
Unsere Art und Weise zu leben und zu denken ist nicht in Einklang mit der inneren und äusseren Natur. Es braucht grundlegende Erweiterungen, die nicht nur einzelne Inhalte betreffen, sondern unsere Systeme selber.
Denn …«Ein Problem kann nicht mit derselben Logik gelöst werden, durch die es entstanden ist. Albert Einstein.»
Der Irrtum in der Schuldzuweisung
Angebracht scheint hier nun die Frage, wie diese Herausforderungen und Problemstellungen im Aussen entstehen, wo wir doch in unserem Bestreben meinen, dass wir Fortschritt, Wohlstand und Objektivität kultivieren? Was haben diese Kriege, dieser zunehmende Egoismus, diese Vereinzelung oder diese Gleichgültigkeit mit uns zu tun?
Wir müssen zuallererst verstehen, dass das, was in der Tat eines Diktators, eines rücksichtslosen Bankers oder eines eitlen Politikers wirkt und verurteilt wird, in seinem Ursprung als Prinzip nur in uns selbst transformiert werden kann.
Denn – die Rücksichtslosigkeit des Bankers ist nur die skalare Multiplikation des gierigen Individuums, das alles spottbillig erhalten will.
Denn wer ermöglicht, dass diese Produkte so billig erstanden werden können? Auf wessen Kosten bereichern wir uns denn da? Oder die Verantwortungslosigkeit des eitlen Politikers, der nur seine eigene Wiederwahl im Auge hat anstatt nachhaltige Strategien zu verfolgen, spiegelt sich in der eitlen Pose des Künstlers, des Schriftstellers oder des Wissenschaftlers, der in erster Linie beliebt und berühmt werden will, anstatt wirklich Verantwortung für sein aus-wirkendes Tun zu übernehmen. Man schaue sich an, was sich da alles an Büchern, an Kunst, an Wellbeing-Angeboten oder an scheinbar wissenschaftlichen Theorien auf dem Markt tummelt. In einem grossen Teil dieser Überproduktion widerspiegelt sich nicht eine tiefe, ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Menschen, mit Kunst, Wissenschaft, Gesundheit oder der Natur, sondern das Bedürfnis des Individuums nach einem Gesehen werden, nach Erfolg, und Anerkennung. In dem Moment, in dem wir nur unsere eigenen Vorteile verfolgen, nur den momentanen Erfolg im Auge haben oder nur die eigene Eitelkeit befriedigen, haben wir alle teil an den Ursachen der Prinzipien von Egoismus, von Ausbeutung und Rücksichtslosigkeit.
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Es handelt sich dabei um ein gesellschaftlich vollumfänglich legitimiertes Handeln, das in seiner Inkongruenz zuallererst erkannt werden muss. So lange letztlich alle die Verantwortung von sich weisen und die Schuld auslagern an irgendwelche Anderen, anstatt das eigene Sein und Denken selbstverantwortlich zu gestalten, werden die Probleme einfach hin und her geschoben.
Im Wirtschaftsleben kann dies überall beobachtet werden. Aber dass dieselbe Logik genauso auch in Lebenshilfezentren beobachtet werden, ist bemerkenswert. Dort stösst man in Seminaren und auf Websites immer auf zwei Grundaussagen:
a) Alles hängt zusammen, alles ist ursprünglich eins
b) Du bist ok so, wie du bist
Diese beiden Aussagen tragen zusammengenommen bei genauer Betrachtung einen fatalen Irrtum in sich. Denn: wenn einerseits alles zusammenhängt, wir aber ok sind, wie wir sind. WER ist dann verantwortlich für all die Unordnung, für die Grausamkeit, für den Egoismus und die Ignoranz in der Welt? Na. Irgendwelche Anderen.
Aber alle haben andere «ANDERE», die schuld sind an der Misere. Hauptsache nicht wir selbst. Wie soll denn das gehen? Es geht eben nicht.
Nur wer in sich selber Ignoranz, Egoismus, das Prinzip der Ausbeutung, der Eitelkeit und der Verantwortungslosigkeit zu gestalten vermag, nährt durch sein eigenes Sein und Denken nicht mehr jene alte, selbstherrliche und bequeme Logik, die keine Zukunft mehr hat. Denn sie entzieht uns allen letztlich die Grundlage unseres Seins: die Gesundheit der inneren und äusseren Natur.
Dieser Weg aber bedeutet Erkennen, dass wir alle in uns Anteile jenes Dunklen und Bösen tragen, das da draussen in der Welt wirkt. Es bedeutet, Verantwortung dafür zu übernehmen, und sich zuerst diesen eigenen Anteilen zu stellen. Das ist nur möglich, wenn wir austreten aus der Komfortzone und radikal alles verantworten was wir sind, tun und denken. Alles andere hat Schein-Heilung, Schein-Veränderung zur Folge.
Das aber heisst im Klartext, dass wir weder in der harten, gewinnorientierten Wirtschaftwelt, noch in den schönen und netten Rückzugsorten jenseits realer Verantwortungen, Konflikte und Auseinandersetzungen mit unserem wahren Selbst in Berührung kommen. Immer nur jeweils ein Teil von uns kommt in diesen Feldern zum Vorschein.
Unser wahres Selbst zeigt sich eben dort, wo es weder bloss leistungsorientiert hart, noch einfach nett, schön und angenehm ist. Sondern dort, wo wir verletzt werden, wo wir uns nicht mehr zurückziehen können, wo wir überfordert sind oder wo wir unsere Grenzen überschreiten, aber diese Verletzungen und Überschreitungen in einem liebevollen Rahmen bewusst wahrgenommen und bearbeitet werden können. Bewusst in dem Sinne, dass wir uns jenseits eitler Selbstbilder und Vorstellungen selbst begegnen, mit allem, was wir sind oder eben auch noch nicht sind. Dass wir Verantwortung dafür übernehmen und bereit sind, in allem die Sinnhaftigkeit zu erkennen. Denn ohne das Verständnis einer höheren Logik bleiben wir einfach Opfer. Alle sind dann Opfer ihrer Kindheit und einer oft «bösen», ungerechten Welt in der niemand Verantwortung übernimmt für dieses Böse und Ungerechte.
In Tat und Wahrheit richtet sich nie etwas gegen uns. Alles ist Möglichkeit und Chance, zu wachsen.
In den Konfrontationen mit uns und der Welt kommt unser ganzes Selbst zum Vorschein. Auch das, was an uns unschön, egoistisch, eitel, bequem oder was auch immer ist.
Es ist zuerst unbequem. Dann aber erlösend. Heilend. Beglückend und befreiend.
Diesen anderen Weg zu gehen, zu entwickeln, erforschen und gestalten ist Ursprung und Ziel der Holdenweid